Wo ist Südaserbaidschan?
30. ноября 2021 0 Автор Dr. Michael Reinhard Heß
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Dr. Michael Reinhard Heß
Michael Reinhard Heß ist promovierter und habilitierter Turkologe. Thema der Habilitation waren Leben und Sprache des aserbaidschanischen Dichters İmadәddin Nәsimi (1370–1417).
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Zum Thema Karabach hat er die Bücher „Panzer im Paradies“ (Dr. Köster 2016) und „Karabakh from the 13th century to 1920“ (Gulandot, 2020) verfasst.
Titelbild: Das Bild zeigt eine Ansicht der südaserbaidschanischen Kulturmetropole Täbris.
Wie alle wissen, hat der Begriff „Aserbaidschan“ im Laufe seiner Geschichte eine Reihe von Bedeutungen angenommen.
In der Zeit der Safawiden, einer oghusisch-turksprachigen Dynastie, die zwischen 1501 und 1722 den Großteil des historischen Irans regierte, war das Wort (neupersisch: Āzerbayǧān) der Name einer der vier nordwestlichen Provinzen (aserbaidschanisch: bәylәrbәylik) des Reichs (siehe dazu etwa die Karte in Kadžar 2007: 41; vgl. Alijarly 2014: 14). Diese Provinz Āzerbayǧān hatte Täbris als Hauptstadt. Nördlich des safawidischen bәylәrbәylik Āzerbayǧān befanden sich (von Ost nach West gesehen) die bәylәrbәyliks Schirwan (aserbaidschanisch: Şirvan; Hauptort war Şamaxı), Karabach (Hauptort: Gәncә) und das bis in das Gebiet um İrәvan (Eriwan) reichende Çuxursәәd mit seinem Hauptort Naxçıvan (Naxçıvan kennen wir heute nur als westlichsten Teil der Republik Aserbaidschan, es ist aber zugleich der Name eines historischen Orts). Diese Provinzialordnung ist bereits im Tārīḫ-e ʿālam-ārā-ye ʿAbbāsī („Die Welt schmückende Historie des Abbas“) des Eskandar Beg Monšī (ca. 1560-1634) beschrieben (siehe İsgәndәr bәy Münşi Türkman 2021 [2009]).
Zusätzlich wurde der Name Āzerbayǧān in safawidischer Zeit auch (quasi metonymisch) als Bezeichnung für alle vier genannten bәylәrbәyliks verwendet. In dieser Bedeutung war „Āzerbayǧān“ einer der vier Großteile des safawidischen Reichs, neben „Irak“, „Persien“ (neupersisch: Fārs) und dem östlichen Reichsteil Chorasan. Hauptort dieses Āzerbayǧān beziehungsweise Groß-Aserbaidschan war wiederum Täbris.
Wenn man aus der Geschichte einen Sprung in die Gegenwart macht – kleine Erinnerung: Wir Menschen leben immer und ausschließlich nur in der Gegenwart! –, sieht man, dass das ehemalige Gebiet der vier „groß-aserbaidschanischen“ Provinzen heute auf mehrere Länder verteilt ist, darunter Armenien, die Republik Aserbaidschan und die Islamische Republik Iran. Durch mehrere von Armeniern in der Sowjetzeit und danach initiierte Wellen der ethnischen Säuberung ist die ursprünglich in die Hunderttausende gehende aserbaidschanische Bevölkerung auf dem Gebiet des heutigen Armeniens praktisch komplett verschwunden, während sich der Rest der aserbaidschanischen Bevölkerung auf die Islamische Republik Iran und natürlich die Republik Aserbaidschan konzentriert. Aufgrund der geographischen Lage bezeichnete man die in der Republik Aserbaidschan lebenden Aserbaidschaner manchmal auch als Nordaserbaidschaner und die im Iran lebenden als Südaserbaidschaner. Die Trennung von beiden geht auf den zwischen Russland und dem Kadscharenreich im Jahr 1828 geschlossenen Vertrag von Türkmәnçay zurück.
Die Aserbaidschaner in der Republik Aserbaidschan und diejenigen im Iran sprechen und schreiben dieselbe Sprache, wenngleich mit unterschiedlichen Alphabeten (lateinisch in der Republik Aserbaidschan, araboid in der Islamischen Republik). Natürlich gibt es regionale Unterschiede im Hinblick auf Aussprache, Lexikon und so weiter, aber die sprachliche Einheit ist ohne Weiteres erkennbar. So kann jemand, der die aserbaidschanische Sprache in lateinischer Schrift lesen kann und zugleich die araboide Graphie beherrscht, ohne Weiteres auch aserbaidschanische Texte aus dem Iran lesen.
Trotz ihrer großen Zahl sind Aserbaidschaner auf dem Staatsgebiet der Islamischen Republik Iran – über die es aufgrund der staatlichen Politik der Islamischen Republik keinerlei gesicherte Angaben gibt, die aber jenseits der Zehnmillionengrenze liegen dürfte – für die Welt immer noch quasi unsichtbar. Denn sie werden vom Staat offiziell nicht anerkannt und können ihre Sprache nicht in staatlichen Bildungseinrichtungen pflegen. Ihre Literatur wird zensiert. Der Hintergrund dieser ethnischen Unterdrückungsmaßnahmen ist offensichtlich die Angst des ausschließlich auf die neupersische Sprache setzenden Molla-Regimes vor der Selbstartikulation der Aserbaidschaner und vor den Verbindungen zwischen den iranischen Aserbaidschanern und denjenigen in der Republik Aserbaidschan sowie in der Diaspora.
Aus diesem Grund ist es außerordentlich schwierig, an Informationen über die Sprache, Literatur und Kultur der Iran-Aserbaidschaner (oder Südaserbaidschaner) zu kommen. Einiges an Information über die Situation der Südaserbaidschaner ist (in aserbaidschanischer Sprache) dem Profil des Südaserbaidschaners Hadi Qaraçay hier auf Facebook zu entnehmen.
Wohin es führt, wenn man versucht, irgendwann einmal in der fernen Vergangenheit existierende Grenzen, Bevölkerungsverteilungen und sonstige Strukturen mit Gewalt zu ändern, kann jeder sehen, der einen Blick auf die Geschichte des Südkaukasus der letzten drei Jahrhunderte wirft. Es kann daher nicht darum gehen, irgendwelche in frühmoderner oder sogar noch weiter zurückliegender Zeit existierende Entitäten künstlich wieder zum Leben zu erwecken. Das Ziel aller sollte sein, ein friedliches und harmonisches Zusammenleben aller in der Region in der Gegenwart zu ermöglichen. Aber dies setzt voraus, dass alle Religionen, Sprachen und Ethnien toleriert werden und sich frei entfalten dürfen.
Wenn Millionen von Menschen dauerhaft und systematisch der Möglichkeit beraubt werden, ihre Muttersprache und Kultur zu pflegen, ist dies kein hinnehmbarer Zustand.
Zitierte Literatur
Alijarly 2014. Alijarly, Sulejman: Respublika Azerbajdžan: zametki o gosudarstvennych granicach v prošlom i nastojaščem. In: Šukjurov, K. K./ Bagiev, T. R. (Hgg.): Karabach: Istorija v kontekste konflikta. St. Petersburg: Vestnik. 13-43.
İsgәndәr bәy Münşi Türkman 2021 [2009]. İsgәndәr bәy Münşi Türkman: Tarix-i Alәmara-yi Abbasi (Abbasın Dünyanı Bәzәyәn Tarixi) [npers.Tārīḫ-e ʿālam-ārā-ye ʿAbbāsī (Die Welt schmückende Historie des Abbas)]. Әfәndiyev, Oqtay/ Musalı, Namiq (Hgg., Übers.). Bd.
Baku: Tәhsil. Http://lib.az/users/1/upload/files/Tarixe-alemaraye-Abbasi.pdf [besucht am 7. Juni 2021].
Kadžar 2007. Kadžar, Čingiz: Staraja Šuša. Baku: Şәrq–Qәrb
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