Erasmus: Erfahrungsbericht über ein Auslandssemester in Istanbul
20. декабря 2021 0 Автор Jahongir ZaynobiddinovJahongir Zaynobiddinov
studiert Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin
Ihnalt
Die Türkei, aber insbesondere Istanbul, ist nicht nur für Touristen, sondern auch für Erasmus-Studenten eine der aufregendsten Ziele. Mit seiner einladenden Kultur, der alten Architektur, den inspirierenden Aussichten auf den Bosporus und vergleichsweise preiswertem Leben ist Istanbul ein Reiseort, der unbedingt besucht werden sollte. Man kann die Energie und Stimmung der Stadt an so vielen Stellen nachvollziehen: beispielsweise, während man auf einer Fähre durch einen Möwenschwarm über den Bosporus schippert, beim traditionellen Frühstück mit türkischem Tee, beim Spaziergang entlang der Ufer in Kadiköy, beim Biertrinken auf der Dachterrasse in Taksim, beim Besuch hipper Gegenden wie Balat oder aber beim Einkaufen auf dem Großen Bazar. In der Metropole mit 16 Millionen Einwohnern kommen neben der jüdischen Kultur auch christliche Kirchen, griechische Zitadellen, arabische Mosaike und islamische Minarette zusammen; sie dient aber v. a. als Peripherie zwischen europäischer und asiatischer Geschichte. Doch neben den vielen schönen Seiten der Großstadt gibt es auch einige negative Aspekte, über die interessierte Reisende Bescheid wissen sollten. In diesem Beitrag möchte ich daher von meinen positiven und negativen Eindrücken, aber auch von erwähnenswerten Erfahrungen in den Bereichen Leben, Studium und Reisen in der Türkei berichten, die ich während meines halbjährigen Aufenthaltes dort sammeln konnte.
Eine gelungene Bewerbung als Grundlage für ein Erasmus-Auslandssemester
Bevor ich das Auslandssemester in der Türkei beschreibe, möchte ich kurz klären, wie und wann man eine Bewerbung für das Erasmus-Studium einreichen sollte. Wenn du als Bachelor-, Master- oder PHD-Student ein Erasmus-Semester im Ausland planst, solltest du die wichtigen Voraussetzungen immer im Auge behalten. Die Ausschreibung für ein Erasmus-Semester erfolgt in der Regel über dein Institut oder deinen Fachbereich, für den du dich immatrikuliert hast. Die Unterlagen, die generell mit der Bewerbung eingereicht werden müssen, sind: eine Online-Bewerbung, ein Motivationsschreiben, ein Lebenslauf, bisherige Leistungs- und Sprachnachweise, eine aktuelle Immatrikulationsbescheinigung und ein Empfehlungsbrief von deinen Professoren. Die Entscheidung über die Auswahl der Studenten erfolgt zum größten Teil durch ein sehr überzeugendes Motivationsschreiben und bisherige positive Studienleistungen, die sich noch hervorragend durch zusätzliche Ehrenämter o. ä. unterstützen lassen. Wenn du schließlich ausgewählt wurdest, bekommst du bald einen Bestätigungsvertrag mit allen persönlichen Angaben. Weitere Informationen über das Antragsverfahren findest du unter: https://erasmus-plus.ec.europa.eu/de/antragsverfahren oder https://www.esn.org/erasmus.
Das Leben in Istanbul
Istanbul schläft nie – das war zumindest mein Eindruck, denn die Stadt ist sowohl am Tag als auch in der Nacht in vollem Gange (man kennt einen ähnlichen Trubel vielleicht aus Shanghai, London und New York). Geschäfte, Cafés und Bars sind rund um die Uhr geöffnet. Sogar schon um 3 Uhr morgens sieht man Leute, die zur Arbeit gehen, Simit verkaufen, Kaffee trinken, mit Freunden spazieren gehen oder zu Livemusik auf der Straße tanzen. Istanbul ist eine riesige Stadt und es dauert daher eine Weile, um von A nach B zu kommen: Alle Arten von öffentlichen Verkehrsmitteln, von Minibussen, U-Bahnen, Metrobussen bis hin zu Fähren, fahren über jede Ecke in der Stadt. Aufgrund der vielen endlosen Staus, gerade zur Rushhour, ist es aber empfehlenswert, den ÖPNV zu nutzen. Ich kann euch nur ans Herz legen, wenn möglich, eine universitätsnahe oder zentralliegende Unterkunft zu suchen, da euch das viel Zeit und Energie spart. Eine gute WG oder eine ansprechende Wohnung zu finden, erfordert allerdings etwas Mühe und Geduld. Istanbul ist jedoch ein Ort, an dem „Vitamin B“ wirklich helfen kann, solche Schwierigkeiten einfach und schnell zu überwinden – persönliche Beziehungen und Bekanntschaften sind hier immer (!) von Vorteil. Mit ihnen kann man sich einfach schneller in die Gesellschaft integrieren, die Sprache lernen und die einheimische Denkweise besser verstehen. Neben den typischen touristischen Sehenswürdigkeiten gibt es in der Stadt viele aufschlussreiche Aktivitäten, die es dir als Neuzugang ermöglichen können, Istanbul aus einem anderen Blickwinkel zu entdecken: Hier lassen sich beispielhaft das Balat-Viertel, der Beylerbeyi-Palast, das Museum für türkische und islamische Kunst sowie der Yildiz-Park nennen.
Kosten
Das Erasmus-Studentenleben in Istanbul unterscheidet sich grundlegend von anderen europäischen Städten wie Oslo, Paris oder Madrid: Durch den Wertverlust der türkischen Lira in den letzten Monaten sind nämlich die Lebenserhaltungskosten für Studenten, beispielsweise für die Unterkunft und Lebensmittel, recht günstig geworden. Man kommt tatsächlich ca. 350 Euro im Monat gut zurecht: Einen Platz in einer WG findet man je nach Region zwischen 100 und 250 Euro monatlich und im Durchschnitt gibt man für Lebensmittel nur etwa 150 Euro aus. Hinzu kommen dann ggf. zusätzliche Kosten für den Mobilfunkanbieter, das Semesterticket, die Krankenversicherung, Ausflüge usw.
Studium
Das akademische Unterrichtsniveau kann, je nachdem, wer die Seminare leitet, wirklich sehr unterschiedlich sein – das ist ein Manko, das nicht verschwiegen werden darf. Manche Professoren tragen ihre Vorlesungen wirklich mit großem Interesse vor, sodass sich ihre Motivation und Euphorie direkt auf die Studenten überträgt – diese Einzelfälle können die Zuhörer mitreißen und problemlos in ihre Welt locken; die Mehrheit hält aber leider nur rein symbolische Präsentationen ohne anschließende Diskussionsrunde. Eine solche systematische Unterrichtsdiskussion und/oder Debatte (also grundlegende Methoden der Professoren in Deutschland) ist im aktuellen Bildungssystem der Marmara-Universität allerdings kaum vorstellbar. Außerdem führen die ausgelebte Desorganisation und Unprofessionalität des Personals zu berechtigter Unzufriedenheit unter den ausländischen Studenten. Unbeantwortete E-Mails, nicht erfüllte Aufgaben sowie ständige technische Fehler der Mitarbeiter schränken die Mobilität der Studierenden ein und erfordern dringenden Sonderaufwand um Auskunft. Trotz dieser gravierenden Mängel ist die Universität mit moderner Technik in den Unterrichtsräumen und Bibliotheken ausgestattet: Hier wurde wohl eher ein besonderes Augenmerk auf die materialistischen und technischen Komponenten der Universitätsgestaltung als auf die pädagogische und interaktive Förderung gelegt. Für einen reibungslosen Ablauf der Erasmus-Semester stehen jedoch immer lokale sog. „Buddies“ des Erasmus Student Network (ESN) zur Verfügung, die sich deiner Probleme und Fragen gern annehmen: Sie helfen in der Regel bei der Wohnungssuche, der Kursanmeldung, der Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis und organisieren Veranstaltungen sowie Ausflüge in andere Städte der Türkei.
Trotz einiger Mängel und Schwierigkeiten im Auslandsstudium ist ein Erasmus-Semester in der Türkei durchaus empfehlenswert: Das Leben in Istanbul eröffnet ganz neue Horizonte für die individuelle berufliche Karriere, weil man als Student über die eigene Komfortzone hinausdenken muss. Zudem kann man sich als Erasmus-Student, fernab von der sicheren Konvenienz des Bekannten, selbst besser kennenlernen: Eigene Erfahrungen zu sammeln, seien sie nun positiv oder negativ, hilft jedem beim Erwachsenwerden. Istanbul scheint für ein Auslandssemester bestens geeignet zu sein: Hier hat man eine unglaubliche Aussicht auf das blaue Meer, leckeres Essen, eine reiche Geschichte, Multikulturalität, Sprachen und so viele freundliche Menschen, sodass die negativen Seiten des Lebens und Studierens in Istanbul schnell nebensächlich werden, sobald sich das Zuhausegefühl einstellt. Vielleicht braucht man einige Zeit, um wirklich anzukommen – das ist vollkommen normal und nachvollziehbar: Für mich war es nicht anders! Ich konnte während meiner Zeit in der Türkei viele Eindrücke sammeln und tolle Menschen kennenlernen, sodass ich jedem ausnahmslos einen Auslandsaufenthalt ans Herz legen würde.
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