Geschlechtergewalt in Aserbaidschan? – Tabus und Ideologie

By Asif Masimov Дек 13, 2021
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Es ist hierzulande ein großes Thema, über verschiedene Formen der Gewalt gegen Frauen, insbesondere in Drittländern, zu diskutieren und diesbezüglich harsche Kritik zu äußern – das ist m. E. auch vollkommen richtig und wichtig. Schließlich sollten wir alle dazu beitragen, alle Arten von Gewalt gegen das weibliche Geschlecht sowie jegliche Diskriminierung von Frauen aufzulösen oder bestenfalls sogar vorab im Keim zu ersticken.

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Dennoch ließ es mich in diesem Zusammenhang nie unberührt, dass von Gewalt an Männern in diesen Ländern, so z. B. in Aserbaidschan, dabei kaum die Rede ist. Ich habe vor zwei Jahren in Berlin an einem Seminar teilgenommen, an dem eine Reihe von Vorträgen über Frauenrechte sowie häusliche Gewalt an Frauen in Aserbaidschan abgehalten wurden. Im Zuge dieses Seminars stellte ich die Frage, ob die Referierenden auch mit der Gewalt an Männern vertraut sind. Viele zeigten sich ob des Hintergrunds der Frage überrascht, nachdem ich die Gewalt gegen Männer in Aserbaidschan anhand von Fakten für sie darstellte.

Die Leser, die bereits mit der sowjetischen Armee vertraut sind, kennen definitiv den Begriff „Dedowschtschina“: Der Ausdruck bezeichnet eine Form von Gewalt oder das einfache Schikanieren seitens der älteren Soldaten gegenüber den jüngeren. Die Gewalt in der Armee geht einher mit der Erniedrigung der Menschenwürde und körperlicher Gewalt. Die direkten Opfer dieser Handlung sind Mitglieder des Kollektivs, die aus dem einen oder anderen Grund einen niedrigen Status in der informellen Hierarchie haben. Diese Art der Machtausübung in der Armee wird bis heute in vielen postsowjetischen Staaten praktiziert. Viele neue Soldaten, die gerade zum Dienst antreten, sind einfach machtlos gegen eine derartige Missachtung der Menschenwürde. Hinzu kommt, dass diese Hierarchie durch die Offiziere durchaus intendiert ist, damit sie die Soldaten besser in den Griff bekommen. Die mutigen Einzelfälle, die sich trauen, eine Beschwerde einzuleiten, werden jedoch zeitnah von den militärischen Dienstkollegen abgeschottet, und als ru. „Suka“ oder „Stukatsch“ (Petzer oder Denunziant) bezeichnet.

 
Eine andere, ziemlich verbreitete Praxis der Gewalt gegen Männer in Aserbaidschan beginnt bereits in der Kindheit im Kreis der Familie: Beide Elternteile, also Mutter oder Vater, neigen dazu, ihre Söhne durch Prügel zu belehren, um sie auf diese Weise zu erziehen. Diese Praktik der körperlichen Züchtigung ist allerdings heute tendenziell sinkend. Viele männliche Kinder wachsen dennoch mit einem Trauma auf, was sich später, auch bei Volljährigkeit, an gewissen Komplexen zeigt, sich in der Gesellschaft zu sozialisieren. Gewalt gegen Männer umfasst neben körperlichen, emotionalen und sexuellen Formen einschließlich gegenseitige Machtspiele, die schnell ausarten können.


Noch in der Sowjetzeit konnten die Lehrer in den ländlichen Schulen Aserbaidschans (das schließt weibliche und männliche Pädagogen gleichermaßen ein) deren ungezogene bzw. nicht zum Unterricht vorbereitete Schüler mit einer Ohrfeige bestrafen. Solche Fälle kommen heutzutage allerdings nur noch vereinzelt vor, sind dann aber meistens gegen männliche Schüler gerichtet.


Ich kann mir in diesem Zusammenhang leider auch gut vorstellen, dass es Gewalt gegen Männer in Aserbaidschan auch in anderen Bereichen des Lebens gibt, so wie es bspw. im Gefängnis eine übliche Handlung ist, um die Überlegenheit einer Person gegen eine andere aufzuzeigen bzw. klar zu verdeutlichen.


Viele in Aserbaidschan, die eine solche Art der Erziehung oder das geschilderte Verhalten in der Armee befürworten, sind davon überzeugt, dass diese Maßnahmen die Jungs abhärten und zu „echten Männern“ machen. Ich habe allerdings mit einigen Personen, die in der Kindheit oder in der Schule mit solchen körperlichen Bestrafungen konfrontiert waren, gesprochen – es erschien mir in diesem Kontext als besonders relevant, die Meinung der Opfer bzw. Leidtragenden zu hören. Es zeigte sich in allen Fällen, dass sich die Misshandlung tief in deren Gedächtnis eingebrannt hat, sodass sie die Ereignisse ihr ganzes Leben begleiten werden. Viele Opfer trauen sich jedoch nicht, ihre eigene Geschichte zu offenbaren, da sie Angst haben, von der Gesellschaft als Feiglinge beurteilt zu werden. Vor allem bei Männern wirkt diese vermeintliche Stigmatisierung als Schwächling hinderlich, sodass die meisten den Schritt der Offenbarung niemals freiwillig gehen würden.


Von Deutschland aus ist es natürlich einfacher, über diesen Sachverhalt zu diskutieren, die Akteure zu verurteilen und mögliche Lösungen zu offerieren. Eine Änderung muss dennoch vor Ort in Aserbaidschan erfolgen – und dies ist m. E. durchaus realisierbar. Die Zivilgesellschaft, die sich bereits mit dem Frauenrecht auseinandersetzt, sollte demnach auch direkt diese Problematik behandeln. Dabei ist zu bedenken, dass Gefühle immer eine Form von Wechselwirkung darstellen: Hassgefühle werden über die Zeit zu weiteren Animositäten führen, Liebe generiert hingegen Liebenswürdigkeit. Von daher wäre es zielführend, in den ländlichen Regionen Aserbaidschans zahlreiche Aufklärungsgespräche über verschiedene Formen von Gewalt gegen alle Personen, also alle Geschlechter, ganz gleich, welchen Alters, welcher Ethnie, welcher sexuellen Ausrichtung und unabhängig vom sozialen Status, durchzuführen. Diese Problematik kann nur sinnvoll behandelt werden, wenn man die Menschen gezielt anspricht und auch über die Konsequenzen der Handlungen aufklärt.

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